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Andreas Mäckler (Hrsg.)
Was ist Kunst..?
1080 Zitate geben 1080 Antworten
232 Seiten, DuMont Buchverlag Köln
1. Auflage 1987 (1-10.000 Exemplare)
2. Auflage 1989 (10.001-15.000 Exemplare)
3. Auflage 1993 (15.001-18.000 Exemplare)
4. verbesserte und erweiterte Auflage, Herbst 2000
Kunst ist, wenn man´s nicht kann, denn wenn mans kann, ists
keine Kunst.
Johann Nestroy
Kunst ist nicht ein Spiegel, den man der Wirklichkeit vorhält, sondern
ein Hammer, mit dem man sie gestaltet.
Karl Marx
Wenn zweifelhafte Mädchen mit nackten Beinen tanzen, so bringt dies keinen
Nutzen, doch manche sehen sich das gerne an – also ist es Kunst.
Lew Nikolajewitsch Tolstoi
Kunst ist im höchsten Ausmaße eine männliche Funktion.
Emil Nolde
Kunst ist, was man nicht begreift.
Markus Lüpertz
Dringender Aufruf an Vernissagen-Redner, Katalogvor- und nachwortschreiber,
Kunstschriftsteller, Feuilletonisten, ART-Redakteure, Podiumsdiskutierer, Round-Table-Experten,
Smalltalker, Partygänger, Kulturpolitiker, Kunsterzieher, Oberstufenschüler,
Frühstücksdirektoren! Gewarnt wird vor exessiver Ausbeutung des Taschenbuchs,
in dem o.a. Zitate verzeichnet sind. Nur mäßiges Garnieren Ihrer
Drucksachen und Reden mit den von Andreas Mäckler fleißig gesammelten
und schön geordneten Lesefrüchten garantiert langen Nutzen und anhaltendes
Renomee. Denn kaufen werden, ja müssen es alle – und sei es nur, um bequem
kontrollieren zu können, ob Sie zu ausgiebig darin gefrühstückt
haben.
Art – Das Kunstmagazin, Nr. 9 / September 1987
Kunst: Hammer und Spiegel
Was ist Kunst?" Mancher wüßte es gern, doch eine bündige
Antwort bleibt aus. Mit statt dessen 1083 – zitierten – Antworten umkreist ein
DuMont Taschenbuch (232 Seiten; 16,80 Mark) das zum Titel erhobene Definitionsproblem,
das der Herausgeber Andreas Mäckler ungelöster denn je" findet.
Dichter- und Denkerworte aus zweieinhalb Jahrtausenden, einander ergänzend,
aber auch schrill widersprechend, bieten eine lehrreich amüsante Lektüre.
Kunst, erfährt man, sei das Ideal des Handwerks" (Lissitzky)
und doch auch Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein" (Adorno), mitgeteilte
Lust" (Nietzsche), harmlos und wohltätig" (Freud), die Vollendung
der Natur" (Ovid), eine besondere Form der Verkündigung einer
Wahrheit" (Oberverwaltungsgericht Münster), außerdem ein
Spiegel, der vorausgeht wie eine Uhr" (Kafka) – nein, nicht
ein Spiegel, den man der Wirklichkeit vorhält, sondern ein Hammer, mit dem
man sie gestaltet" (Marx). So scheinen die Kunst-Definitoren bisweilen in
heftige Streitgespräche zu geraten. Die Kunst ist überflüssig",
dekretiert der französische Sprüchemacher Ben Vautier. Ganz bestimmt!",
versetzt der polnische Aphoristiker Stanislaw Jerzy Lec, ich weiß sogar
für wen."
Der Spiegel, Nr. 32 / 3. August 1987
Kunst ist..."
Von Fritz Billeter
Es gab eine Zeit, da man glänzen konnte, wenn man imstande war, geflügelte
Worte" grosser Geister ins Gespräch einzuflechten. Wer seinem Bildungsstand
aufhelfen konnte, griff zum Citatenschatz" von Georg Büchmann,
einer Fleissarbeit, die seit 1864 bis heute über dreissig Auflagen erlebt
hat. Die soeben erschienenen 1080 Zitate, unter dem Titel Was ist Kunst..?" in
einem Dumont-Taschenbuch vereint, hat Andreas Mäckler gewiss nicht wie Büchmann
aus gläubiger Bildungsbeflissenheit zusammengetragen.
Ein Amusement – und mehr
Mäckler kam einfach ein glücklicher Einfall während einer nächtlichen
Autofahrt nach Köln, wie er in seiner Vorbemerkung" zugibt. Er
bereitet uns denn auch mit seiner Zitatensammlung in erster Linie ein anregendes
Amusement. Was Kunst nun wirklich sei, weiss man nach der Lektüre vielleicht
erst recht nicht, denn Mäcklers Gewährsleute (aus zwei Jahrtausenden)
widersprechen sich oft schroff und oft auf derselben Buchseite. So steht etwa Ernst
ist das Leben. Heiter ist die Kunst" (Schiller) gegen Ernst ist die
Kunst und heiter das Leben" (Schwitters).
Mäckler hat seine Zitatensammlung geradezu auf solche Widersprüchlichkeit
hin geordnet, innerhalb von zwölf nach thematischen Gesichtspunkten gegliederten
Kapiteln streicht er sie heraus. Derart wird einem leichthändig ein erkenntnistheoretisches
Problem nahegebracht: Die grossen Gemeinplätze der Kulturgeschichte – etwa Mensch", Gott", Freiheit" und
eben auch Kunst" – entziehen sich schliesslich jedem definitorischen
Zugriff; man wird ihrer besser dadurch inne, dass man die Geschichte ihrer Widersprüche
oder ihres Sowohl-als-auch annimmt.
Aktuelle Fragestellung
Die Einsicht, dass Kunst sich nicht definieren lasse, verbunden mit dem Hunger,
sie dennoch irgendwie in ihrem Innersten zu begreifen, entspricht unser Jahrhundert.
Gerade die modernen" Künstler haben mit Werkstoffen, Formen und
Themen experimentiert, die man sich früher nicht träumen liess. Bei
einem solchen Aufbruch ins Offene geht ohnehin jede Definition zuschanden, die
ja naturgemäß ihren Gegenstand festzulegen trachtet. Die Definitionsnot
unserer Zeit (fast immer auch ein Symptom für eine allgemeine Desorientierung
im individuellen Leben und in der Gesellschaft überhaupt) hat sich selbstverständlich
auch in Reflexionen und Aussagen über die Kunst niedergeschlagen. Kunst=Kapital", Kunst=Mensch", Kunst=Kreativität=Freiheit" -
solche Gleichungen von Joseph Beuys, dem wohl wirkungsmächtigsten Kunstmagier
der sechziger bis achtziger Jahre, verraten doch, dass dieser am liebsten sagen
würde, alles" sei Kunst.
Die Grenzen
Um nicht in der Unzählbarkeit überlieferter Aussagen über Kunst
zu ertrinken, hat Mäckler strikt nur solche berücksichtigt, die in
der festgeprägten Sprachformel der Definition Kunst ist..." erscheinen.
Diese Beschränkung, gesteht der Autor, habe allerdings auch zu problematischen
Auslassungen" geführt. Da können zum Beispiel die grundlegenden
Einsichten zu einer Kunsttheorie von Plato in dieser Sammlung nicht Platz finden,
weil seine Darlegungen eben nie die erwähnte klassische" Satzstruktur
der Definition abzugewinnen war.
Es wäre an der Zitatensammlung von Mäckler auch einiges auszusetzen,
sogar Tiefsinniges, eben Erkenntnistheoretisches. Ich begnüge mich mit einem
eher praktischen Hinweis. Ich glaube nicht, dass es angeht, einen gewissen Armin
Sandig, einen gewissen Dieter Körber und G.A.O. Collischon (um nur diese
paar Beispiele zu nennen) mit nicht weniger als je acht Zitate mitzuführen,
ohne dass der Leser erfahren kann, wann und wo diese Leute gelebt, was sie getrieben
haben. Auch die Versicherung von Mäckler nützt mir da nichts, dass
längst mehr als der gute Wille des Buchverlags mobilisiert worden sei, um
die Identität der Zitatebelieferer herauszufinden.
TagesAnzeiger, 17. September 1987
Was ist das: Kunst?
Es ist mehr als zehn Jahre her, daß Wolfgang Max Faust, damals noch Berliner
Student, heute Kunstkritiker und -promoter, aus eigener schmaler Brieftasche
eine Broschüre publizierte, Resultate einer Umfrage, die er in seiner Alltagsumwelt
zur Definition von Kunst veranstaltet hatte. Kunst sei ein abgewirtschafteter
Begriff", stand da (aus professoralem Mund), oder: Kunst sei etwas
Schönes zu schaffen – mit Leichtigkeit, weil man dazu begabt ist" (Else
S., eine Angestellte), sei ein durch die Brille eines Temperaments betrachtetes
Stück Schöpfung" (Willi M., Klempnermeister), schlicht Ausdruck
in Vollendung" (Nina K., Sekretärin), gute Musik, Theater, Bilder" (Inge
F., Kosmetikerin) oder etwas was man nicht definieren kann" (Lisa
O., Kauffrau). Die originellste Antwort floß aus einem Arbeiterkugelschreiber
und wurde deshalb als Aufmacher auf die Titelseite gerückt: Die deutschen
Wörter Kunst und Liebe haben zu viele Bedeutungen.
Spielt ein Musiker auf einer Trompete Klarinette, so nennt man das Kunst und
10 000 kopieren das Verhalten. In Deutschland ist alles Kunst, nur der Kunsthonig
nicht".
Originelle Einfälle gehen nicht unter: Sie kommen an unterschiedlichem Ort
und zu unterschiedlichem Zeitpunkt immer mal wieder zum Vorschein – und verblüffen
erneut! Das ist der Fall mit dem bei DuMont unter dem Titel Was ist Kunst..?" veröffentlichten
Taschenbuch. Anders als Faust sondiert der Herausgeber Andreas Mäckler allerdings
nicht im eigenen – trivialen – Lebensbereich, sondern präsentiert von der
Antike herauf bis in die unmittelbare Gegenwart quer durch alle mögliche
schöne Literatur, Philosophie, Essayistik, Aphoristik, Kunstkritik etcetera
eine eintausendachtzig Einzelzitate umfassende Blütenlese, die – wie nicht
anders zu erwarten – das Widersprüchlichste in sich versammelt. Wie kaum
ein anderer Begriff hat gerade der der Kunst" seit jeher die verschiedensten
Besetzungen erfahren und ist im Streit der Meinungen gestanden, und eben dies
macht seinen Reiz und Verwirrung aus, die er stiftet.
Das Buch setzt mit Aristoteles ein. Die Kunst also ist – wie gesagt – eine
auf Hervorbringung gerichtete Haltung..." – und endet mit Timm Ulrichs ENTGÜLTIGER
schtellunkname: die geschichte aines forurteils, es gibt keine kunstwerke nur
gegnschtende künstlerischer (estetischer) betrachtungswaise".
Dazwischen tummelt es sich, hüpft hierher und dorthin: Kunst ist eine
Inhaltsfrage" (Goethe), Kunst ist eine Polarisation: ihr Funke schlägt über
von der sich entfremdenden, in sich hineingehenden Subjektivität auf jenes
nicht von der Rationalität Veranstaltete, jenen Block zwischen dem Subjekt
und dem, was einmal in der Philosophie das Ansich hieß" (Adorno), Kunst
ist eine Art Aufruhr" (Picasso), Kunst ist ein hartes Geschäft,
und man geht drauf oder man schaffts" (Spoerri). Hier ist die Kunst
reinster Ausdruck der Wahrheit, dort – ganz konträr – gleichbedeutend mit
Lüge, mal definiert sie sich konservativ, mal revolutionär, mal gleichgesetzt
mit Leben", mal ferngerückt als Ideal", mal in
allen ihren Phasen ein gesellschaftliches Phänomen" (Lukacs), mal esoterisch
bis dorthinaus. Schade, daß der Herausgeber für dieses Wirrwarr keine
adäquate Struktur gefunden hat, sondern sich in seinen Kapitelüberschriften
doch wieder an alte Ordnungskategorien wie Kunst als Natur", Kunst
als Wissenschaft", Kunst als Schönheit", Kunst als
Politikum" gehalten hat; auch stellt man beim genaueren Hinsehen etwas enttäuscht
fest, daß im Nachweis der Zitate, mit dem man doch noch einmal eine eigene
vertrackte Fährte hätte legen können, des öfteren etwas unbeholfen
aus zweiter, dritter und vierter Hand zitiert wird.
Das mindert jedoch den Reiz der Unternehmung nicht allzusehr, weil sich jeder
Leser ja seine eigene Schneise durch dieses Zitatengestrüpp ziehen oder
sein eigenes Labyrinth anlegen kann. Wer das Buch zur Hand nimmt, darin hin-
und herblättert, sich festliest und dabei feststellt, daß die eigene
Auffassung von Kunst in dieser Publikation noch keinen Niederschlag gefunden
hat, ist aufgefordert, die entsprechende Formulierung möglichst rasch zu
Papier zu bringen und an den – in der Kunstpublizistik der Bundesrepublik führenden
- DuMont Verlag zu schicken; ich selbst mache (mich eines Beitrags für ein
Symposium zum Thema Wozu überhaupt Kunst?" im Jahre 1979 entsinnend)
den Anfang – auf gut hessisch", versteht sich: Wozu überhaupt
KUNST? bist a depp, bist a trottel, vastehst nix vonna nix: weil ma net allaweil
nua essa, supp schlürfa, knödla essa, kraut essa, fleisch essa, fleisch
fressa, knödla fressa, sauffa, bier sauffa, wein sauffa, schnaps sauffa,
vögla (allaa, zu zwett, zu dritt), arbeita, schuffta, de arm ausrenka, schwitza,
mied sein, hungrig sein, dositza, die zeitung lesa, fernsehn gucka, schlofa,
träuma, uffsteha, mied sein, arbeita, essa, trinka, fressa, sauffa, weil
ma net allaweil nua vögla kaa, daderzu is KUNST da!"
Karl Riha: Die Zeit, 30. September 1988