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Kriminalromane sind Reiseführer in den Tod
Susanne Beck im Gespräch mit dem Schriftsteller Andreas Mäckler
In: Federwelt – Zeitschrift für Autoren, Nr. 24, Oktober/November 2000, Seite 17-22
Andreas Mäckler: Danke für die Frage. Sie meinen, weil mein erstes Buch Was ist Kunst..? heißt, wüßte ich, was Kunst sei. Das Gegenteil ist der Fall. Kunst ist allgemeingültig nicht zu definieren – für mich ein riskantes Experimentierfeld, wie das Schreiben.
S. B.: Sie sind in sehr unterschiedlichen Bereichen schriftstellerisch tätig – vom Kriminalroman über Zitatensammlungen bis hin zum ADAC Kulturreiseführer – was macht Ihnen am meisten Spaß?
A. M.: Freud und Leid einer Schriftstellerexistenz finden auf mehreren Ebenen statt. Viele meiner Bücher sind Auftragsproduktionen, beispielsweise die Reiseführer und der Designerkrimi Tödlich kreativ (1999, avedition Stuttgart). Da geht es darum, den Vorgaben des Verlags entsprechende Texte zu liefern. Reiseführer machen Spaß, weil man in der Welt herumkommt. Normalerweise ist Schreiben sehr einsam.
S. B.: Wie kam es, daß Sie einen ADAC-Führer geschrieben haben – ist der ADAC einfach an Sie herangetreten?
Ja. Ich habe inzwischen einen guten Ruf als Autor. Bei Auftragsarbeiten ist vor allem Zuverlässigkeit gefragt, und Handwerk. Trotzdem darf sich niemand Illusionen machen: Betriebswirtschaftlich gesehen ist Bücherschreiben der reinste Wahnsinn. Die meisten Schriftsteller, sofern sie nicht verzweifeln, verdienen ihr bißchen Geld mit Übersetzungen, Lektorat, Journalismus oder Taxifahren. Ich kann jedem nur raten, einen Beruf zu ergreifen, der in dieser unkünstlerischen
Welt gesellschaftlich tiefer verankert ist: Steuerberater, Informatiker.
Machen Sie einen weiten Bogen um Kunst und Literatur als Berufsplattform!
S. B.: In welchem Bereich haben Sie angefangen?
A. M.: Als professioneller Autor im Sachbuchbereich (kunst Kultur, Dokumentarfilm),
als Jugendlicher habe ich Gedichte geschrieben, die niemand lesen oder
hören wollte.
S. B.: Wie kamen Sie überhaupt zum Schreiben? Gab es einen konkreten Anlaß?
A. M.: Ich schrieb schon als 10-jähriger Detektivgeschichten. Eine der Stories spielte in Amsterdam, der Detektiv hieß van Straten – das klang exotisch und reizvoll. Ich kannte weder Holland, noch Amsterdam. So geht es mir bis heute: Schreiben ist ein Abenteuer, bei dem man sich auf etwas einläßt,
von dem man keinen blassen Schimmer hat.
S. B.: Versuchen Sie kurz, mir den Beginn und vielleicht auch die ersten
Hürden Ihres schriftstellerischen Berufs zu schildern?
A. M.: Die größte Hürde eines Schriftstellers ist die eigene Unfähigkeit, einen Stoff zu bewältigen. Da hilft nur stetiges Üben. Eher unbewußt umging ist dieses Problem, indem ich meine ersten vier Bücher als Zitatensammlungen angelegt habe, als Mosaik vorgefertigter Sätze anderer Autoren, die sich fortlaufend lesen und genießen lassen. Damals war ich 28 Jahre alt und dachte, jedes neue Buch würde automatisch besser verkauft werden. Das Gegenteil war der Fall: Die Auflage meiner 12 Bücher
schwankt zwischen 2.000 und 40.000 Exemplaren, der Durchschnitt liegt
bei 8.000 verkauften Exemplaren. Von solchen Ergebnissen kann keiner
leben.
S. B.: Wie kam es, daß ein Kunsthistoriker begann, Kriminalromane
zu schreiben?
A. M.: Mich interessiert nicht nur die lichte Seite des Lebens, sondern
auch der Abgrund. Kriminalromane sind Reiseführer in den Tod.
S. B.: Wie kommen Sie auf die Ideen zu Ihren Geschichten und Büchern? Gibt es konkrete Situationen, in die sie sich hineinversetzen?
A. M.: Die Welt ist voller Inspirationsmöglichkeiten. Man muß nur mit offenen Augen schauen und zugreifen. In meinem Kriminalgeschichten, die ich für die YellowPress, TV- und Frauen-Zeitschriften schreibe, variiere ich gern unbewußten Ängste und Wünsche
der Leser, beispielsweise Angst vor dem Verlust eines geliebten Partners.
Die Strickmuster sind trivial, die Kunst besteht darin, Spannung zu schaffen
und gut zu unterhalten. Meine Kurzkrimis werden von Millionen Menschen
gelesen.
S. B.: Wie recherchieren Sie für Ihre Bücher? Welches Medium nutzen Sie dafür
am liebsten?
A. M.: Ich lese regelmäßig die Fachzeitschrift Kriminalistik. Außerdem habe ich ein Archiv angelegt, aus dem ich viel Informationen zu Stichwörtern wie Bankraub, Giftmord oder Wirtschaftsdelikte ziehe. Je bizarrer die Fälle, desto fröhlicher
machen sie mich. Inzwischen ist auch das Internet zur Fundgrube geworden.
S. B.: Wie entsteht ein Buch? Machen Sie sich Skizzen, einen Handlungsablauf?
A. M.: Kriminalgeschichten werden in der Regel von hinten nach vorne
geschrieben, das heißt, man geht von der Lösung des Falls aus, und konstruieren einen Plot, der so gut wie möglich darauf hinführt. Beim Roman sind die Entwicklungsmöglichkeiten umgekehrt. Am Anfang weiß ich nicht, wie's am Ende ausgeht. Das hängt damit zusammen, daß sich das Schreiben eines Romans über Monate und Jahre hinzieht, während ich Kurzgeschichten in wenigen Tagen fabriziere. Die Bibel für Kurzgeschichtenschreiber stammt übrigens
von Helmut Hochrain: Die 5000-Mark-Story, oder die kunst mit kleinen
Geschichten das große Geld zu machen. Ich
glaube, das Buch ist im Buchhandel vergriffen, aber über Bibliotheken
ausleihbar.
S. B.: Welches Handwerkszeug benutzen Sie? Schreiben Sie mit dem Computer,
einem Füller, oder auf einer Schreibmaschine?
A. M.: Gott bewahre, ich arbeite mit dem Computer und will gar nicht
daran denken, daß ich meine ersten Bücher mit einer Kugelkopfmaschine schreiben mußte. Grauenhaft, wie umständlich
Literaturproduktion einmal war.
S. B.: Zu welcher Tageszeit schreiben Sie?
A. M.: Morgens, mittags, abends – rund um die Uhr, wenn's sein muß.
S. B.: Sind Sie ein sehr disziplinierter Arbeiter, das heißt, haben
Sie feste Arbeitszeiten?
A. M.: Unbedingt! Disziplin ist enorm wichtig. Sie müssen sich täglich
neu motivieren, es gibt keinen, der auf Ihre Texte wartet. Viele Schriftsteller
verzweifeln an den Schwankungen der eigenen Psyche und ihres Marktwerts.
Dagegen hilft nur eiserne Disziplin. Ich habe eine 70-Stunden-Woche.
S. B.: Bei so unterschiedlichen Projekten und Tätigkeitsbereichen – kommt es da vor, daß sich Arbeiten überschneiden, oder planen Sie schon vorher, wieviel Zeit Sie sich für
die einzelnen Projekte nehmen?
A. M.: Ich arbeite wie ein kleines Handwerksunternehmen täglich
an mehreren Texten und Projekten. Auf meiner WebSite (www.maeckler.com)
sind Bücher bis ins Jahr 2002 angekündigt. Dazwischen kommen jede Menge neuer Aufträge
rein.
S. B.: Wenn Sie einen Tag lang geschrieben haben – legen Sie die
Arbeit weg, korrigieren Sie noch oder lassen Sie den ersten Entwurf stehen?
A. M.: Der erste Entwurf ist niemals der letzte! Ich schleife so lange,
bis der Text stimmt. Ein Sprichwort sagt: Qualität ist 10 Prozent Inspiration, und 90 Prozent Transpiration. Wenn möglich, sollte man seine Entwürfe einige Tage oder Wochen liegen lassen, um sie später
noch einmal kritisch zu lesen.
S. B.: Lassen Sie die Texte jemanden Korrekturlesen?
A. M.: Ich arbeite seit 1994 regelmäßig mit der Münchner Schriftstellerin und Übersetzerin Bettina Blumenberg. Wir redigieren meine Kriminalgeschichten und Romane gemeinsam. Das ist ein mühsamer und kostspieliger Prozeß,
lohnt sich aber. Viele Feinheiten und Passagen meiner Stories stammen
von Bettina Blumenberg. Jeder Autor sollte mit einem guten Lektor zusammenarbeiten.
S. B.: Sie fragen Dritte nach Ihrer Meinung, bevor ein Buch fertig ist?
A. M.: Natürlich! Ich schreibe meine Bücher und Geschichten für die Leser und den Markt, nicht für
mich selbst.
S. B.: Werden Sie von Leuten vom Fach – Ärzten, Polizisten, Detektiven – unterstützt, oder woher nehmen Sie die Informationen für
das Fachwissen?
A. M.: Ich recherchiere viel und lasse meine Manuskripte, bevor sie zum
Satz freigegeben werden, prinzipiell von Fachleuten gegenlesen, weil
sich trotz sorgfältiger Recherche Fehler einschleichen. Meinen Designerkrimi Tödlich
kreativ haben
Rido Busse, einer der berühmtesten deutschen Designer, und vier anderen Fachleute gegengelesen – außerdem
einige meiner Bekannten, die jede Stelle markierten, die sie langweilig
fanden.
S. B.: Was lesen Sie, um sich zu inspirieren? Welche Autoren begeistern Sie?
A. M.: Leider komme ich nur am Wochenende zum Lesen von Büchern, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit laufenden Projekten stehen. Ich bewundere Matthias Politycki, früher habe ich Stephen King gelesen. Dadurch, daß ich Mitglied im SYNDIKAT bin, der Vereinigung deutschsprachiger Kriminalschriftsteller, habe ich Kontakt zu vielen Kollegen. Einige schreiben Bücher, die ich auch gern geschrieben hätte. Die Polizistenromane von Horst Eckert sind sehr atmosphärisch.
S. B.: Sind Sie immer auf dem Laufenden über die moderne Literatur, oder interessieren Sie sich nur für bestimmte Bereiche, d.h. vor allem für
Kriminalromane?
A. M.: In der zeitgenössischen Literatur bin ich nur bei den Krimis
auf dem Laufenden.
S. B.: Lesen Sie Kritiken über sich?
A. M.: Zwangsläufig. Über die schlechten ärgere ich mich auch, obwohl ich weiß, daß jede Rezension (ob gut oder schlecht) immer nur ein Spiegel des Rezensenten ist, niemals des Buchs. Früher – als junger Schnösel – habe ich Bücher anderer Autoren verrissen. Das bereue ich. In jedem Buch steckt viel Leben, Arbeit und Substanz, die kann niemand mit ein paar Zeilen würdigen
oder aburteilen. Je mehr Erfolg man hat, desto mehr Neider stellen sich
ein.
S. B.: Sie arbeiten zum Teil im Selbstverlag. Ist es immer noch so, daß es
die Buchhandlungen einem Selbstverleger nicht einfach machen?
A. M.: Aus meiner langjährigen Erfahrung als Autor, Redakteur und
Lektor habe ich 1999 den Autorenratgeber SelbstVerlag – Das
eigene Buch erfolgreich vermarkten geschrieben und in meiner eigenen Produktionsfirma, der Sequenz Medien Produktion GmbH (www.sequenz-online.de) publiziert.
Wir arbeiten daran, den Vertrieb von Büchern und Informationen über das Internet abzuwickeln und direkt mit den Käufern zu kommunizieren, ohne Fremdverlag und Buchhandel. Zur Zeit funktioniert das nur im Sachbuch-Bereich, wo mit Ratgebern Umsatz gemacht wird. Da die etablierte Verlagslandschaft zunehmend abdankt, ist der Selbstverlag für Autoren die einzige Rettung. Letztlich macht das auch Sinn: Autoren schaffen die Substanz, haben die meiste Arbeit und werden am schlechtesten bezahlt. Diese Ausbeutung muß irgendwann
ein Ende haben. Unter der Domain www.xlibri.de bieten wir ab Juni
2000 ständig verbesserte Dienstleistungen für Autoren an. Im Musikbereich gibt es die Independent-Labels der Musiker, davon können Autoren eine Menge lernen. Das Internet eröffnet neue Distributionswege. Wir müssen uns aus der Abhängigkeit
von Verlagen und Buchhandel befreien.
S. B.: Sie haben sich für Ihre Bücher mit verschiedensten Künstlern unterhalten und auseinandergesetzt – haben Sie einen "Lieblingskünstler",
und wenn ja, warum?
A. M.: Mich faszinieren Kunst und Künstler, weil in ihnen Gefühl und Rationalität, Größe und Erbärmlichkeit, letztlich alle Extreme unserer Existenz verkörpert werden. Einen Lieblingskünstler habe ich nicht – mag aber Max Ernst, Richard Oelze und Timm Ulrichs gern. Ich schaue mir auch Werke von "Sonntagsmalern" an, weil es immer wieder Überraschendes zu entdecken gibt. Ich finde wichtig, daß die
Leute versuchen, kreativ zu sein, etwas Substantielles aus sich und ihrem
Leben zu machen.
S. B.: Sie haben in einem Ihrer Bücher mit Gottfried Helnwein, einem nicht immer unumstrittenen Künstler, zusammengearbeitet – wie
haben Sie ihn als Mensch erlebt?
A. M.: Unser Buch "Malerei muß sein wie Rockmusik" – Andreas Mäckler im Gespräch
mit Gottfried Helnwein,
das 1992 im Verlag C.H. Beck erschien, wurde vom Buchhandel boykottiert.
Inzwischen ist Helnweins Verbindung zu Scientology allgemein bekannt.
Der Verlag und ich hatten damals keine Ahnung davon. Der Kontakt zu Gottfried
Helnwein ist seitdem abgekühlt. Letztlich durchschaue ich die Vorgänge um Scientology nicht. Helnwein ist in meinen Augen noch immer einer der stärksten deutschsprachigen Gegenwartskünstler. Daß er das Land verlassen mußte – er lebt jetzt in Irland und USA – und unser Buch boykottiert wurde, schmerzt. Wir hatten einen intensiven Austausch, Gottfried Helnwein ist angenehm im persönlichen
Umgang. Keine Drogen, kein Alkohol, nur Arbeit. Der Horror in seinen
Bildern erscheint mir eher ein Spiegelbild der Gesellschaft, als eine
Kartographie seiner Psyche. Ich vermisse ihn sehr.
S. B.: Noch ein paar Fragen zum Mensch Andreas Mäckler: Wie sieht
bei Ihnen ein Tagesablauf aus?
A. M.: Langweilig! Sie wären entsetzt! Morgens um 8 Uhr aufstehen, Frühstück, die Computer in meinen zwei Büros anschalten, schreiben, eMails beantworten, telefonieren, manchmal Projekte mit Kollegen und Auftraggebern besprechen, und wieder schreiben den ganzen Tag bis in die Nacht hinein. Nebenbei läuft VH-1, MTV oder Viva. Als Student hatte ich ein schöneres Leben: Vorlesungen und Seminare ab 14 Uhr, Kneipen und Sex. Jetzt bleibt mir nur noch die Arbeit. Ein trauriges Leben, das einzig in seinen Produktionen spannend ist. Heute kann ich die Bücher schreiben, von denen ich früher geträumt
habe.
S. B.: Könnten Sie versuchen, mir den glücklichsten Augenblick
Ihres Lebens zu schildern?
A. M.: Den glücklichsten Moment hatte ich nach meinem ersten Orgasmus.
Den brauche ich wohl niemandem zu schildern. In meinem Roman Die ÖdipusFalle, der vermutlich 2002 erscheint, sind einige erotische Szenen. Ich hoffe, das Buch kommt nicht auf den Index und wird verboten.
S. B.: Interessieren Sie sich für aktuelle Tagespolitik, und wenn ja, wie informieren Sie sich darüber?
A. M.: Ich empfinde die deutsche Politik und ihre Politiker als derart
trostlos, daß ich über jeden Moment ohne ihre Präsenz in den Medien glücklich
bin.
S. B.: Immer wieder taucht die Beschäftigung mit Rudolf Steiner auf. Wie sehr hat Sie die Waldorfschule geprägt?
A. M.: Anfang des 20. Jahrhunderts war die Waldorfpädagogik eine progressive Reformbewegung, heute sind viele ihrer Erscheinungen veraltet. In meinen Büchern Anthroposophie und Malerei sowie Die Kunst der Anthroposophie (erscheint
2002) behandele ich die Anthroposophie als historisches Phänomen. Vor Rudolf Steiners Leistungen habe ich Respekt, was heutzutage in der anthroposophischen Bewegung passiert, empfinde ich als abgrundtief mittelmäßig
und langweilig.