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Textart

„Der Traum von der kleinen Unsterblichkeit“
Die Gründer des „Biographiezentrums“
Interview von Oliver Buslau mit Andreas Mäckler und Stefan Schwidder
In: TextArt – Magazin für kreatives Schreiben Nr. 4 / 2007,
Seite 42-45. www.textartmagazin.de


TextArt: Autobiobiographien haben ja für einen Boom auf dem Buchmarkt gesorgt. Und das natürlich vor allem, wenn es um Prominente wie Boris Becker und Dieter Bohlen geht. Aber auch immer mehr Privatleute entdecken die Form der Autobiographie für sich...
 
Andreas Mäckler: Biographien werden seit Beginn der menschlichen Geschichtsschreibung verfasst – in allen Gesellschaftsschichten, die des Schreibens mächtig sind. Natürlich erleben sie heute im medialen Zeitalter eine besondere Beachtung – leider komplett verzerrt, denn uns wird suggeriert, dass nur das Leben so genannter Promis interessant und der Aufmerksamkeit wert sei. In Wirklichkeit ist jedes Leben einmalig und faszinierend. Die Krux heute ist, dass die Leute zu wissen meinen, was Boris, Babs und Küblböck treiben, aber sie kennen nicht mehr die Geschichte ihrer eigenen Familie oder die ihrer Nachbarn. Das sind geliehene Identitäten ohne Substanz, mit denen viele Menschen leben. Die meisten Kinder kennen schon nicht mehr alle Vornamen ihrer Eltern und Großeltern, geschweige denn deren Geburtsort.

TextArt: Sie verbreiten ja die These: Wer am Ende seines Lebens keine Biographie hinterlässt, ist endgültig tot....

AM: Das ist keine These, sondern eine Tatsache. Fragen Sie sich selbst: Was wissen wir von den Milliarden Menschen, die bereits gestorben sind und keine Biographie hinterlassen haben? Nichts. So wird es auch mit zukünftigen Generationen geschehen. Wer keine Biographie hinterlässt, ist selbst innerhalb der eigenen Familienerinnerung nach wenigen Jahren endgültig tot.

TextArt: Was möchte man folgenden Generationen denn mitgeben? Familiäres Gemeinschaftsgefühl?

Stefan Schwidder: Einer der am häufigsten genannten Gründe, warum Menschen ihr Leben aufschreiben wollen, ist der Wunsch, den Kindern und Enkeln etwas zu hinterlassen, das ihnen zeigt, wer dieses „Ich“ – ihre Mutter oder Vater, Oma oder Opa – eigentlich war,  was ihn oder sie bewegt hat, es ist der Wunsch, Werte, Ereignisse, Gefühle und Lebenswege festzuhalten. Es gibt genug Untersuchungen, dass die Werte der „Familie“ – wie Schutz, Halt, Vertrauen, Bindung – in Zeiten, die wie diese vom Wegfallen von vermeintlichen Sicherheiten geprägt sind, wieder stark an Beachtung und auch Wertschätzung gewinnen.

AM: Gerade erfolgreiche Menschen, die jahrzehntelang wenig Zeit für die eigene Familie hatten, stellen am Ende ihres Lebens fest, dass ihre Kinder kaum etwas über sie und ihr Leben wissen – vor allem, was die Zeit vor ihrer Geburt angeht. Ich sehe das Ganze zudem als ein Investment in die Zukunft. Ich besitze die Autobiographie meines Ur-Ur-Ur-Urgroßvaters aus dem 19. Jahrhundert. Das sind rund 200 Jahre her. Wenn ich mir vorstelle, dass meine Lebensgeschichte von meinen Nachfahren in 200 Jahren gelesen wird, erfüllt es mich ebenso mit Stolz, so wie ich auch die Lebensgeschichte meiner Großeltern pflege und mit Vergnügen und Hochachtung lese.

TextArt: Man lernt also auch etwas aus früheren Zeiten, sozusagen aus erster Hand...

SW: Natürlich. Mit jeder Autobiographie wird Zeitgeschichte greifbar. Sie erhält ein Gesicht, oder besser: tausende Gesichter. Nur so lässt sich das historisch Geschehene überhaupt richtig einordnen, im wahrsten Sinne des Wortes lebendig machen.

AM: Wir müssen immer daran denken, dass dieser wichtige Aspekt auch uns selbst betrifft: Bereits alltägliche Dinge von heute werden im Jahr 2100 exotisch sein, beispielsweise zum Tanken zur Tankstelle zu fahren. Benzin wird es nicht mehr geben. Das Alltagsleben von heute wird bereits in 50 Jahren mit Faszination wahrgenommen werden.

TextArt: In Ihrem Buch „Ich schreibe, also bin ich“ gehen Sie auch auf die positiven Auswirkungen auf den Erinnernden selbst – die Auswirkungen auf sein Leben, seine Gefühls- und Erfahrungswelt ein. Was kann Biographiearbeit da leisten, inwieweit reicht sie in den therapeutischen Bereich hinein?

SW: Das Ganze hat natürlich mit dem Leben hier und jetzt viel zu tun. Autobiographisches Schreiben ermöglicht eine hervorragende Klärung – wer bin ich, was habe ich im Leben gemacht, warum sind die Dinge so und nicht anders verlaufen? Es ist wie eine Entdeckungsreise, an dessen Ende man sich selbst wieder findet. Wenn man seine eigene Vergangenheit versteht, kann man mit der Gegenwart und auch der Zukunft viel angemessener und besser umgehen. Ich bin allerdings vorsichtig mit dem Begriff „therapeutisch“, da er mir zu sehr ins Medizinisch-Pathologische abrutscht.

TextArt: Aber kann man über die Biographierabeit nicht noch konkreter an Erkenntnisse über sich selbst und das eigene Leben herankommen?

SW: Es gibt doch in jedem Leben sich wiederholende Muster, wir tappen immer in die gleichen Fallen – wir treffen zum Beispiel immer auf den gleichen Typ Mann oder Frau, wir haben immer die gleichen Probleme am Arbeitsplatz, wir erleben wiederholt, dass wir es doch „eigentlich“ besser wussten, aber trotzdem wieder „falsch“ reagiert haben. Wo kommt das her, was ist die Bedeutung dahinter? Durch Biographiearbeit können wir diese Muster und ihre Mechanismen erkennen – es wird ein unbeschreiblicher Schatz sichtbar, wenn wir den Mut haben, unsere Schmerzpunkte im Leben einmal genau anzuschauen und sie in ihrer Kontinuität und Verbindung wahrzunehmen.

TextArt: Ihre Angebot ist nicht billig. Sie berechnen beim Ghostwriting einer Autobiographie, die Ihnen Ihre Kunden erzählen, bis zu 80 Euro die Seite, das sind 8.000 bis 16.000 Euro und mehr für ein Buch von 100 bis 200 Seiten. Es kommen noch Layout- und Druckkosten hinzu, rund ein- bis zwei tausend Euro zusätzlich, die von der Ausstattung und Auflage des Buchs abhängen.

AM: Man muss das immer in den notwendigen Relationen sehen. Eine gute Autobiographie zu schreiben, ist zeitaufwendig und erfordert viel Sorgfalt, außerdem eine hohe Kompetenz. Jede Lebensgeschichte ist einmalig und wertvoll. Unsere Kunst besteht darin, daraus ein spannendes Buch zu schreiben. Es gilt immer zu bedenken, dass wir es mit dem wertvollsten Gut eines Menschen zu tun haben: mit seiner Lebensgeschichte. Die Honorare für Dienstleistungen der in unserem Biographiezentrum versammelten Biographen und Biographinnen beruhen auf Stundensätzen einfacher Handwerksbetriebe, also bei rund 50 Euro in der Stunde. Das sind keine astronomischen Summen, die letztlich zusammen kommen. 16.000 Euro für eine ordentlich geschriebene und produzierte Biographie ist in Hinblick auf viele zukünftige Generationen in Hunderten von Jahren kein Betrag. Jeder Kleinwagen, der nach 10 Jahren Schrott ist, kostet mehr! Unsere Biographien überdauern die Zeiten.

SW: Wir motivieren unsere Kunden, Arbeitsschritte zu übernehmen, die sie selbst erledigen können – so gibt es immer wieder mal im Bekannten- oder Familienkreis jemanden, der die Tonbänder abtippen kann oder sogar selbst die Interviews macht, das ist alles schon vorgekommen. Das erspart natürlich Zeit und Geld, so dass der finanzielle Gesamtaufwand auch bei einer wesentlich niedrigen Summe liegen kann. Wenn die Menschen ihre Lebensgeschichte selbst schreiben und produzieren können, ist das auch ein Weg, den wir unterstützen! Wir geben nahezu wöchentlich Kurse im biographischen Schreiben, können also auch wertvolle Tipps und Hinweise dazu geben, wie man es selbst macht. Die Workshops und Seminare des Biographiezentrums unterstützen den eigenen Arbeitsprozess, auf Schreibreisen in Klöster und an ähnlich zentrierende, inspirierende Orte können sich die Menschen in Ruhe ganz auf Ihre Biographiearbeit konzentrieren und sich fernab des Alltags ganz neu entdecken.
Wir helfen immer da, wo es alleine nicht mehr weitergeht. Dazu gehört auch, dass wir über einen eigenen Verlag die Lebensgeschichten unkompliziert publizieren können.

AM: Die Zusammenarbeit ist für unsere Kunden oft sogar ein großes Vergnügen, wenn sie sich mit der eigenen Lebensgeschichte beschäftigen, sie quasi noch einmal erleben, unterstützt von einem qualifizierten Autor, der monatliche neue Texte liefert. Es ist eine schöne Zeit, die unsere Kunden nicht mehr missen möchten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass der Preis letztlich für den Kunden weniger wichtig ist. Vielmehr müssen Sie ihm das Vertrauen vermitteln, genau der richtige Partner für seine Lebensgeschichte zu sein! An der Darstellung ihrer Kompetenz scheitern viele Autoren, denn letztlich möchte der Kunde mit dem Buch seinen Traum von – zumindest kleiner – Unsterblichkeit kaufen.

TextArt: Sie haben gemeinsam das „Biographiezentrum“ gegründet und den „Förderverein für biographische Arbeit e.V.“, inzwischen ein eingetragener, gemeinnütziger Verein. Wie muss ich mir das vorstellen? Für wen ist das Zentrum gedacht, aus welchen Bereichen kommen die Mitglieder?

AM: Das große Feld der Biographiearbeit ist immer noch relativ unübersichtlich, da gibt es immer noch viele Einzelkämpfer und Konkurrenzdruck. Unser Ziel war von Anfang an, mit dem Zentrum etwas Verbindendes zu schaffen – ein Forum zu etablieren, in dem die Beteiligten das Potenzial von Synergien, Zusammenarbeit und Austausch pflegen und schätzen. Im Mitgliedsbereich werden zum Beispiel nützliche Arbeitsmaterialien wie Musterverträge oder ein Verzeichnis der Seniorenpresse zum Download angeboten, wir helfen mit Visitenkarten oder Briefpapier im Design des Zentrums. Es kommen Menschen mit unterschiedlichen Arbeitsschwerpunkten zu uns, das reicht von den klassischen geschriebenen Erinnerungen, also dem Buch, über gesprochene – Hörbuch auf CD – bis hin zu gefilmten, der Filmbiographie. Ein Mitglied hat sich sogar auf biographische Romane spezialisiert. Auch „Beiprodukte“ wie Hochzeits- oder Trauerreden haben wir im Programm. Unsere Mitgliedertreffen, zunehmend mehrfach im Jahr organisiert, bieten neben dem Kennenlernen und Netzwerken vor allem ein dichtes Workshop-Programm zur Weiterbildung. Kunden, die den geeigneten Autor in ihrer Region suchen, können im Mitgliederverzeichnis auf der Website des Biographiezentrums gezielt anhand der Angebotsprofile auswählen und direkt mit dem Dienstleister Kontakt aufnehmen.

SW: Wenn die Mitglieder in Kundengespräche gehen, hat es viel mehr Kraft, wenn sie es unter dem Namen des Biographiezentrums tun, als wenn sie einzeln als Lieschen Müller oder Hänschen Meier irgendwo auftauchen. Das soll auch ein klares Signal für unsere Kunden sein: Sie merken von Anfang an, dass es bei uns um Transparenz, Offenheit und Professionalität geht. Das schätzen sie sehr. Wir haben sogar einen offiziellen Ehrenkodex, dem sich alle Mitglieder verpflichtet fühlen. Gleichzeitig bleibt jedes Mitglied autark und kann selbstverständlich seine weitere persönliche Arbeit völlig unabhängig von uns betreiben.

TextArt: Können alle Ihre Mitgleider von ihrer Biographiearbeit leben?

AM: Autoren müssen findig sein, wollen sie wirtschaftlich überleben. Sie gehören mit den Künstlern zu den einkommenschwächsten Berufsgruppen, zumeist bewegt sich ihr Jahresumsatz unter Sozialhilfeniveau, wenn sie nicht als „feste Freie“ für die Presse oder einen zahlungskräftigen Verlag arbeiten. Von Lesungen und Honoraren aus Buchpublikationen können vielleicht ein Prozent der rund 140.000 Autoren leben, die bei der VG-Wort gemeldet sind und zumindest formal einen Nachweis ihrer publizistischen Professionalität erbracht haben, wobei „Professionalität“ in diesem Zusammenhang nicht als Einkommensnachweis zu definieren ist. Aber: Je dienstleistungsorientierter ein Autor arbeitet, desto eher lässt sich ein regelmäßiges Einkommen erzielen, das seinen Betreiber nährt.

SW:  Es gibt verschiedene Professionalsierungs- und auch Erfahrungsbereiche unter unseren Mitgliedern. Einige machen das schon seit Jahren, die sind in der Regel gut im Geschäft. Andere beginnen gerade erst, und denen geben wir eben Starthilfe. Besonders Autoren und Journalisten, die sich als Biographen dem wachsenden Markt der Privatbiographien widmen möchten, glauben, ein Internetauftritt, Flyer und einige Anzeigen in der regionalen Presse oder Schreibkurse in Volkshochschulen und Altenheimen reichten aus, um ins Geschäft zu kommen. Das ist natürlich ein Irrtum! In unseren Autorenworkshops geht es um Kundenakquise, Marketing, Pressearbeit, Interviewtechniken, stilistische Aspekte, Gestaltungs- und Layoutmöglichkeiten, um Druckmöglichkeiten – und natürlich auch um die menschliche Bindung an unsere Kunden.

AM: Wir versuchen, unser Angebot so auszustatten, dass jeder, der wirklich möchte, innerhalb von zwei oder drei Jahren eine Vollexistenz als Biograph aufbauen kann. Wir haben gerade das Konzept für unsere „Akademie des Biographiezentrums“ abgeschlossen, das auch eine zertifizierte Ausbildung zum Biographen oder zur Biographin umfasst. Das Ganze startet im Herbst 2008 – wir haben schon jetzt ganz wunderbare Rückmeldungen, das wir auf dem richtigen Weg sind.

TextArt: Vielen Dank für das Gespräch!

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