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Books on Demand und Internet – Revolution auf dem Buchmarkt
Interview mit Andreas Mäckler
In: Net-Business, 16. Oktober 2000, Seite 72

Net-Business: Wie hat das Internet den Buchmarkt verändert?

A. M.: Kollossal! Wobei wir erst am Anfang der Entwicklung stehen. Die Beziehung Autor – Verlag – Buchhandel – Leser ist keine gottgegebene Grundordnung. Meine These ist, daß diese Verwertungskette in den nächsten Jahren mit zunehmender Geschwindigkeit auf die beiden wichtigsten Faktoren – Autor und Leser – zusammenschrumpfen wird. Die Folge wird ein Verlags- und Buchhandelssterben sein, wie es sich bereits jetzt ankündigt.

N.-B.: Sie beziehen sich auf Verluste in zweistelliger Millionenhöhe, die traditionsreiche Verlagshäuser wie Rowohlt und Fischer jährlich machen?

A. M.: Ja, zum Beispiel. Die Depression in den Verlagen ist allgegenwärtig. Als Marke bleiben sie erhalten, anders läßt sich die gewaltige, auf Jahre und Jahrzehnte ausgerichtete Buchproduktion der Vergangenheit nicht abverkaufen. Aber in ihrer Funktion als innovative, fördernde Literatur-Produktionsstätten, wie sie es im 19. und 20. Jahrhundert waren, danken Buchverlage ab.

N.-B.: Widerspricht die wachsende Zahl an Verlagsneugründungen nicht Ihrer These?

A. M.: Nein, im Gegenteil. Durch die neuen Medien kann heute jeder Buchproduzent, Verleger und Online-Buchhändler werden. Die seit Jahren steigende Anzahl von Neuerscheinungen verdeckt die Tatsache, daß die verkaufte Auflage pro Titel drastisch sinkt. Taschenbücher in einer Auflage von 1000 Exemplaren finanzieren keinen Verlagsapparat, ein Autor als Unternehmer aber kann mit etwas Geschick hohe Gewinne erwirtschaften. Ebenso wie Pop-Bands und Filmemacher vermarkten professionelle Autoren zunehmend ihre Bücher über das Internet selbst.

N.-B..: Was hat sich durch das Internet für die Autoren geändert?

A. M.: Sehr viel! Professionelle Autoren werden – sofern sie die Rechte an ihren Texten behalten – zu den Gewinnern der digitalen Revolution gehören. Sie schaffen die vermarktbare Substanz und können über das Internet direkt mit der Zielgruppe, den Käufern ihrer Bücher, kommunizeren. Wofür brauchen sie noch Verlage und Buchhandel, die einen Großteils des Gewinns abziehen?

N.-B.: A la Stephen King und Frederick Forsyth, die ihre Bücher gegen Gebühr im Netz veröffentlichen?

A. M.: Genau! Wobei Stephen King und Forsyth als weltweit operierende Literaturlieferanten eine Klasse für sich sind, die Sie mit den Verhältnissen der 100.000 deutschen Autoren und Journalisten nicht vergleichen dürfen, die bei der VG-Wort gemeldet sind. Meiner Ansicht nach lassen sich im Autoren-Direktmarketing per Internet derzeit nur Sachbücher mit Gewinn verkaufen, Texte, die eine definierte Zielgruppe bedienen. Interessenten neuer Musik beispielsweise können Noten gegen Bezahlung direkt als PDF downloaden, und der Komponist braucht die Einnahmen mit keinem Verleger und Musikalienhändler teilen. Das Roche Lexikon Medizin des Verlags Urban & Fischer erwirtschaftet im Internet mehr Gewinn, als in der Buchausgabe. Belletristische Autoren wie Reinald Goetz oder Matthias Politycki nutzen das Web erfolgreich zur Promotion der eigenen Buchprojekte. Jungen "Pop-Autoren" wie Benjamin von Stuckrad Barre traue ich zu, ihre Bücher im Internet gewinnbringend zu verkaufen.

N.-B.: Was halten Sie von elektronischen Büchern wie dem Rocket eBook? Besonders erfolgreich ist es ja bislang nicht, wird sich das ändern?

A. M.: Ich glaube nicht. Wofür braucht man so ein teures Ding mit kleinem Bildschirm und schlechter Auflösung? Der Austausch von Texten und Büchern über das Internet ist wirtschaftlich und erfolgreich, Informationen werden am PC aus dem Netz geladen und bei Bedarf ausgedruckt. Wofür soll man sich noch ein Lesegerät kaufen? In den USA wird angesichts der Absatzflaute seit 1997 darüber nachgedacht, eBooks – ähnlich wie Handys – millionenfach zu verschenken bzw. hoch zu subventionieren, um den Markt für eBooks zu schaffen; Content-Anbieter, insbesondere Buchverlage, sollen die Kosten tragen. Aber kaum jemand will eBooks haben – selbst geschenkt sind sie überflüssig. Vielleicht lassen sich Juristen, die ständig mit aktualisierten Gesetzestexten zu tun haben, dafür begeistern.

N.-B.: In den USA wird derzeit an elektronischem Papier gearbeitet. Wäre das eine bessere Alternative als elektronische Bücher?

A. M.: Bis elektronisches Papier auf dem Massenmarkt etabliert ist, vergehen Jahre, vielleicht ein Jahrzehnt. Ausgereift ist die Technologie der Books on Demand (BoD) – Buchdruck nach Bestelleingang. BoD revolutionieren ebenfalls die Buchbranche.

N.-B.: Könnten Sie kurz das Prinzip und die Vorteile von Books on Demand erläutern, bitte?

A. M.: Gern. Das Verfahren beruht auf dem Digitaldruck, Buchblock und Vierfarb-Cover werden von einer PDF- bzw. PSD-Datei gedruckt, anschließend gebunden. Die Produktion funktioniert nahezu vollautomatisch und dauert nur wenige Minuten. Generell sind Auflagen ab einem Exemplar möglich, doch sollte man realistisch sein: Eine Buchproduktion, mit der Gewinn erwirtschaftet wird, braucht höhere Stückzahlen. Der Druck eines Paperbacks mit 160 Seiten und 200 Exemplaren Auflage kostet rund tausend Mark. Viele Autoren machen mit QuarkXPress das Layout selbst.

N.-B.: Das erklärt aber noch nicht den Begriff "on Demand".

A.M.: Richtig. Die Idee, die aus dieser Technologie abgeleitet wird, ist, ein Buch erst dann zu drucken und auszuliefern, wenn es bestellt worden ist: vom Buchhandel, vom Leser direkt oder vom Autor. Lagerkosten und Kapitalbindung entfallen. Die amerikanische Buchhandelskette Borders.com stellt in ihren Läden Geräte auf, die das gewünschte Buch, sofern nicht vorrätig, online bestellen und innerhalb von 15 Minuten drucken und binden – vor den Augen des Kunden. Das wird in Deutschland auch irgendwann kommen – zumindest in den Buchkaufhäusern.

N.-B.: Wer veröffentlicht seine Bücher auf diese Weise, und verdient jemand damit Geld?

A. M.: Immer mehr Autoren und Verlage produzieren die Erstauflage ihrer Bücher als BoD, um Verkaufschancen zu testen, um leichter Anzeigen zu aquirieren, oder um das Buch schneller aktualisieren zu können, was besonders für Behörden und Firmen interessant ist, die Produkthandbücher in kleiner Stückzahl brauchen. Auf Grund der günstigen Stückpreise und der hohen Qualität – das ist ja das Neue am BoD – wählen viele Hobbyautoren das Verfahren, ebenso wie bekannte Profiautoren, die auf diese Weise vergriffene Bücher vorrätig halten. Natürlich verdienen Digitaldruckereien und Distributoren wie Libri Books on Demand (www.bod.de) an der neuen Technologie, während Hobbyautoren selten Gewinn machen, was aber auch nicht unbedingt angestrebt wird. Fachbuchautoren, die Texte mit hohem Nutzwert und entsprechendem Verkaufspreis direkt an die Zielgruppe verkaufen, erreichen oft höhere Honorare als bei Publikationen im Fremdverlag, wo die Auflage größer, aber die Honorarbeteiligung wesentlich kleiner ist. Fachinformationen werden ohnehin zunehmend im Internet gesucht: für Schriftsteller-Unternehmer eine riesige Chance, an Verlagen und Buchhandel vorbei zu publizieren.

N.-B.: Eine Zeitlang hörte man viel von sogenannter Hyperfiction. Was ist daraus eigentlich geworden?

A. M.: Das Internet ist das ideale Medium, Texte im Kollektiv zu schreiben. Der MDR ließ anläßlich der Leipziger Buchmesse Goethes Briefroman "Die Leiden des jungen Werther" per E-Mail weiterschreiben. "Get Mail" ist ein Text der neuen Gattung Hyperfiction, deren Verlag das World Wide Web und deren poetisches Prinzip die Verlinkung ist.

N.-B.: In Ihrem Buch "Books on Demand" erwähnen Sie Verlage/Händler wie Fatbrain. Gibt es Ähnliches auch in Deutschland?

A. M.: Leider nein. Fatbrain.com ist ja nicht nur eine virtuelle Buchhandlung, sondern akzeptiert auch Manuskripte und erteilt Aufträge für Essays an Autoren. Und verdirbt, so die Ansicht vieler US-Verleger, die Preise. Ein Autor erhält bei Fatbrain.com 50 Prozent des Verkaufspreises, traditionelle Verlage zahlen zwischen fünf und zehn Prozent. Kein Wunder, daß das Internet auf viele Autoren wie ein Fanal der Sklavenbefreiung wirkt.

N.-B.: Wird die Frankfurter Buchmesse in 20 Jahren nur noch im virtuellen Raum Internet stattfinden?

A. M.: Bestimmt nicht! Keiner weiß, wie der Buchmarkt in zwanzig Jahren aussieht, ob es noch Bücher als Massenartikel in hohen Auflagen gibt, oder ob sie on Demand und als Dateien gelesen werden. Das Internet macht auf alle Fälle neugierig auf die Menschen, mit denen man online kommuniziert. Man trifft sich in Frankfurt, das wird auch in Zukunft so bleiben.

Das Interview erschien in gekürzter Version unter dem Titel "e-Books sind überflüssig" – Autor Andreas Mäckler, 42, über den Buchmarkt im digitalen Zeitalter, e-Books und die Frankfurter Buchmesse, in: Net-Business, 16. Oktober 2000, Seite 72

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