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Novalis

Das Buch „Lichtoffene Farbigkeit" von Andreas Mäckler stellt auf dem Publikationsmarkt anthroposophischer Kunstbücher eine erfrischende Neuerscheinung dar. Der Autor macht mit dieser Darstellung den Versuch, die „anthroposophische" Aquarellmalerei und die Lasurtechnik in einen geschichtlich-kulturellen Zusammenhang zu stellen. Da der Autor als Kunsthistoriker und Kunstpublizist Einblicke in das kulturelle Geschehen der Gegenwart hat und außerdem ein inneres Gespür für den inneren Wahrheitskern der anthroposophischen Farbenlehre, gelingt ihm ein unsentimentales und kritisch-sachliches Bild der augenblicklichen Situation und einen interessanten Abriss über den Entwicklungsgang der anthroposophisch orientierten Malerei.

Interessant und erfreulich ist vor allem, daß er einen zukunftsoffenen, freilassenden Abschluß der Darstellung findet und zudem mit einer wissenschaftlichen Haltung an das Thema herangeht, die sich in ihrer Gründlichkeit, Nüchternheit und Sachlichkeit, verbunden mit dem eher journalistischen Sprachstil, deutlich von anderen Publikationen im Umfeld der Anthroposophie abhebt. Dieser Stil mag zunächst ernüchternd und vielleicht auch abschreckend wirken, zumal der Einstieg in das Buch durch eine Zitatenfülle und starke Strahlung des Inhalts erschwert wird, im Verlauf der Darstellung findet man aber eine Gestaltung, die es möglich macht, die anthroposophische Malerei aus ihrer Beschränktheit und Isolation innerhalb anthroposophischer Kreise herauszusehen und in das Umfeld des allgemeinen Kunstschaffens zu stellen, woran wir als Menschen dieser Zeit ja Anteil haben sollten. Dort waltet natürlich der kritisch/nüchterne Geist der Zeit.

Das Buch ist in drei grosse Abschnitte gegliedert, wovon der erste Teil die Kunstgeschichte der Anthroposophie behandelt und damit ein deutlich fundiertes Bild der Ursprünge gibt. Der zweite Teil behandelt die Kunstgeschichte der Lasurfarben, deren Anfänge aus ferner Vergangenheit stammen. Schliesslich wird in einem letzten Abschnitt die Weiterführung der Gedanken und Ideen, die durch Rudolf Steiner den Künstlern gegeben wurden, dargelegt und auch eine Sichtung der daraus entstandenen praktischen Anwendungen, sprich: der Kunstwerke vorgenommen.

Bereits im ersten Teil der Betrachtung macht Andreas Mäckler auf ein Problem aufmerksam, welches als Phänomen sicher nicht nur in der Malerei, sondern ebenso in den anderen künstlerischen Bereichen des anthroposophisch orientierten Kunstschaffens zu bemerken ist: der Widerspruch zwischen Kunsttheorie und der daraus entstehenden „Zielprojektion" einerseits und der Mangelhaftigkeit der tatsächlichen Ausführung auf der anderen Seite. Dieses klar und deutlich auszusprechen und offen in den Blick zu heben, ist ein Verdienst dieses Buchs. Die Vorträge Steiners und seine mündlichen und praktischen Angaben zur Farbenlehre, Ästhetik, Kunstgeschichte etc. stehen auf der einen Seite, sind in ihren Ausgestaltungsmöglichkeiten noch gar nicht voll ergriffen und erkannt und auf der anderen Seite erlebt man ein darauf basierendes Kunstschaffen, wo doch häufig von Dilettantismus und blinder Nachahmung mehr zu finden ist, als im Bereich des Könnens und der individuellen Neuschöpfung.

Mäckler geht in diesem ersten Teil besonders auf die Entstehung einer anthroposophisch begründeten Stilbildung ein, betrachtet die Bauformen des ersten und zweiten Goetheanums und arbeitet den Gegensatz heraus zwischen der anthroposophischen Malerei und dem Jugendstil, der ja in dieser Zeit seine Blütezeit hatte. Das Kapitel über damalige theosophisch/anthroposophische Einflüsse auf Künstler der Zeit, wie Kandinsky, Jawlensky, Klee u.a. ist dagegen wenig aussagekräftig, wohl auch weil die Aufnahme von diesem Gedankengut und dessen Realisationen in den entsprechenden Kunstwerken so auf die Schnelle und Kürze nicht abgehandelt werden kann, was aber auch nicht beabsichtigt wird. Wichtig ist allerdings der Hinweis auf die bahnbrechende Schrift Kandinskys „Über das Geistige in der Kunst". In diesem Kapitel sind die übrigens sehr genauen und ausführlichen Randbemerkungen und Quellenangaben sehr nützlich und hilfreich für eine weiterführende Auseinandersetzung mit dem Thema.

Im zweiten Teil geht Andreas Mäckler besonders auf die Technik und den geistigen Hintergrund der Lasurmalerei ein. Er stellt die Entwicklung dieser Maltechnik in ihrem geschichtlichen, philosophischen und naturwissenschaftlichen Kontext sehr ausführlich und einleuchtend dar. Das Einbeziehen älterer Farbmodelle und Theorien erlaubt wieder eine deutliche Standortbestimmung für die heute verwandte Technik und Anschauung der Lasurmalerei. Ausführlich wird auf die Gegensätzlichkeit von Wesen und Erscheinung der Farben eingegangen und die Komponente des Unsichtbaren miteinbezogen, wie auch die Fragestellung nach der vierten Dimension innerhalb der künstlerischen Darstellungsmöglichkeiten. Äussere Erscheinung der Farben und inneres Empfinden als Entwicklungsprozesse der Wahrnehmungsfähigkeiten werden mit ausführlichen und sehr schönen Zitaten von Philipp Otto Runge und Paul Cézanne dargestellt. Auch der Gegensatz zwischen Romantik und Aufklärung und seine Auswirkungen auf die Kunst kommen zur Sprache.

Im letzen Teil schliesslich geht der Autor auf die Ausgestaltung und Weiterführung der Gedanken und Ideen aus der Geisteswissenschaft innerhalb der anthroposophischen Malerei ein. Hier wird zunächst die Farbenlehre, wie sie Rudolf Steiner gegeben hat, vorgestellt und dann auf die Darstellungsmöglichkeiten im Einzelnen eingegangen in Form von daraus resultierenden Themengebieten: das Malen des Mineralischen (Unlebendigen), des Pflanzlichen, des Tierischen und des Menschen als geistiges Wesen. Da dieses Buch auch durch seine Fülle an Bildmaterial und künsterlischen Zeugnissen begeistert, hätte man sich gerade zu diesem Kapitel mehr Bildbeispiele gewünscht. (So fehlen Bildbeispiele für die malerische Behandlung des Elementarischen, worauf im Text aber relativ ausführlich eingegangen wird).

Dennoch wird in diesem Teil deutlich, wie weit Idee und reale Ausgestaltung der Kunstwerke häufig auseinanderklaffen und dass geistige Wahrheiten, wie etwa die Farbenaura des Menschen, von den Künstlern zwar gemalt werden, es aber fraglich ist, ob diese wirklich wahrgenommen und erlebt, oder nur vermutet und nachgeahmt werden. Hier entsteht eine gefährliche Nähe zu Kitsch und Unwahrem. Auch wird kritisch auf die überall ähnliche künstlerische Ausgestaltung von Kult- und Gemeinschaftsräumen im anthroposophischen Umfeld, wie beispielsweise der Christengemeinschaft, eingegangen. Dennoch werden auch überzeugende und gelungene Werke vorgestellt, wie das Eingangsbild von Yvonne von Miltitz und Arbeiten Margarita Woloschins.

Wenn man den Darstellungen dieses Buchs bis zum Ende folgt, hat man schliesslich das Erlebnis, einen klärenden, entmystifizierenden Gang durch die anthroposophische Kunstentwicklung und Gestaltung getan zu haben, der zukünftige Möglichkeiten offen lässt, aber Schwierigkeiten und Mangel der Gegenwart anspricht ohne falsche Scheu und Zurückhaltung in das Blickfeld rückt. Gerade aber dadurch wird der Blick frei für das Wesentliche, und das sind die Angaben Steiners, die im Grunde immer noch auf eine wahrhaft künstlerische Eigengestaltung und auf ein individuelles Ergriffenwerden warten, sowie auch auf wissenschaftlich fundierte Weiterentwicklung und Ausgestaltung.

Durch die Vielfalt der hier wiedergegebenen Zitate erfährt man eine gute Zusammenschau des heutigen kulturellen Rahmens, in dem die aus der Anthroposophie entwickelte Malerei sich durchaus einen Platz erobern könnte.

Ein Bereich allerdings, der immerhin von grosser Wichtigkeit ist, kommt in dieser Darstellung zu kurz, bzw. wird nur ungenau angegangen: Das ist die Strömung der Mysterienkunst, von der Rudolf Steiner sagt, sie stehe, nachdem sie über viele Zeitenläufe bis zur Ich-Fähigkeit des Menschen gelangt ist und dort zunächst ein Ende ihrer Wirkensmöglichkeit erreicht hat, jetzt an einem neuen Anfang und müsse ganz neu gegriffen werden.

Auf diesen Blickwinkel der Versuche einer Neugestaltung der Mysterienkunst wird nicht eindeutig genug eingegangen bzw. deren Unterscheidung von der heute herrschenden Kunst, die aus der Phantasie und freien Gestaltungsmöglichkeit des Künstlers zu ihren Werken gelangt, wird nicht herausgearbeitet. Diese Unterschiedlichkeiten innerhalb der künstlerischen Strömungen sind aber wichtige Bausteine für eine aus der Geisteswissenschaft sich entwickelnde, noch ganz anfängliche, aber mit anderem Vorzeichen ausgestattete Kunstrichtung.

Die Zusammenstellung des Bildmaterials in diesem Buch ist weitestgehend sehr gut gelungen und erweitert den Wert dieses Buchs über den Inhalt hinaus zu einem „sehenswerten" Bildband. Einige Bildzusammenstellungen sind allerdings zu gedrängt und wegen des kleinen Formats kaum zu erkennen, während andere Zusammenstellungen sich gegenseitig erschlagen, z.B. auf S. 54 die drei Jawlensky-Bilder über den drei Mondrian-Bildern. Auch vermisst man an einigen Stellen die Abbildung des im Text zitierten Bildes, so z.B. das Bild „Auf Spitzen" von Kandinsky, auf das interpretatorisch besonders eingegangen wird, das im Buch aber nicht erscheint.

Gut gelungen sind die oft widersprüchlichen Zitate zeitgenössischer Kunstkritiker, die so eine breite Sichtweise und ein erweitertes Verständnisspektrum ermöglichen. Das Buch von Andreas Mäckler gibt Anregungen und Anstoss zu genauerem Schauen und die Möglichkeit, eigene, vielleicht zu starr gefasste Urteile und gewohnheitsmässige Sichtweisen zu überdenken und freier damit umzugehen, um sich dann vielleicht eine individuellere Meinung und Position fernab von aller Gleichmacherei bilden zu können.

Der wichtigste Aspekt dieses Buchs und damit die zu würdigende Leistung Andreas Mäcklers ist wohl der wissenschaftlich fundierte Versuch einer Einbettung der anthroposophischen Kunst in das heutige Kulturgeschehen. Damit stellt er einen Beitrag dar zur Auflösung des „Inseldaseins" dieser Kunstrichtung und einen ersten Schritt des Einbezugs in die heutige Kunst- und Kulturlandschaft. Damit wird die anthroposophische Malerei bei aller kritischen Sichtweise viel ernster genommen und viel mutiger angeschaut, als das bei einem Verbleiben in den anthroposophischen Zusammenhängen möglich wäre: also eine wichtige Bestandsaufnahme.

Astrid Thalmann: Novalis – Zeitschrift für europäisches Denken, Nr. 7 / 8 1992, Seite 53 f.

Cover der Zeitschrift Info3

Lichtoffene Farbigkeit

Als ich vor gut einem Jahr in „Info3" (12/1990) über das Buch „Anthroposophie und Malerei – Gespräche mit 17 Künstlern" (DuMont Buchverlag) von dem Münchner Kunsthistoriker Andreas Mäckler schrieb, erhielt ich wenige Wochen darauf einen empörten Leserbrief. Die Verbindung von Anthroposophie und Faschismus bzw. von Anthroposophie und „Sozialistischem Realismus", wie ihn die DDR-Malerei zeitigte, sei völlig absurd. Daß ich diesen Zusammenhang zwischen Weltanschauung/Ideologie und künstlerischem Schaffen in einer Rezension aufgreifen könne, sei völlig deplaziert.

Nun gut, jeder Mensch hat seine eigene Lesart und kann nur – zunächst subjektiv - davon das berichten, was ihm bei der Lektüre eines – sehr empfehlenswerten - Buchs aufgefallen ist. Aber auch Hella Krause-Zimmer schrieb in der Zeitschrift Das Goetheanum (Nr. 41, 13. Oktober 1991) zu diesem Buch „mit beachtlicher Substanz" allerlei kritisches, wenn auch in scheinbar anderer Richtung. „In vielen hier Vorgebrachten, so unterschiedlich es sich ausnimmt, liegt ein Körnchen Wahrheit, und wir werden uns noch oft Kopf und Mund bei diesem Thema anstrengen. Aber darüber hinaus dürfte ganz sicher sein, daß die Zeit kommt, da man jede Bemühung, jedes Bild und jede Studie in dem von Rudolf Steiner angeregten Stil mit größtem Interesse betrachten wird." Ich weiß nicht, ob das jemals einer der entsprechenden Künstler erleben wird, aber so sehr ich es jedem wünschen würde, widerlegt es nicht den – zugegebenermaßen überspitzten - Zusammenhang von Weltanschauung und künstlerischer Arbeit am Beispiel anthroposophisch orientierter Künstler.

Das neue Buch nun, das der Novalis Verlag (Schaffhausen) in einer außerordentlich schönen Edition vorlegt, enthält auf den ersten Blick weit weniger Provokationen. In einem wiederum unbestreitbar kompetenten und sehr lehrreichen Panorama, das zudem viele weiterführenden Hinweise enthält, breitet der Autor die geistes- und kunstwissenschaftlichen Grundlagen der anthroposophisch orientierten Malerei aus, und der Novalis Verlag sparte nicht daran, diese faszinierende Geschichte der Lasurmalerei – ideengeschichtlich verwurzelt in der Antike – mit einer gelungenen Reihe an Farbabbildungen zu begleiten. Bilder von William Turner, Philipp Otto Runge, Paul Cézanne, Paul Seurat, Lyonel Feininger und zahlreichen „anthroposophischen" Künstlern werden gezeigt. Das ganze Buch ist so angenehm anzusehen, daß man es eigentlich nur noch in die Hand nehmen und genießen möchte.

Aber wie ist es inhaltlich aufgebaut? Der erste Teil enthält eine in Grundzügen umfangreiche und vertiefende Darstellung zur Kunstgeschichte der Anthroposophie. Rudolf Steiners Kunsttheorie aus dem Geiste Goethes bzw. des modernisierten Klassizismus werden pointiert dargestellt. Hierin ergeben sich auch einige Zusammenhänge, wie sie schon Manfred Krüger („Anthroposophie und Kunst – Zur Ästhetik Rudolf Steiners", Dornach 1988) eingehend behandelt hat. Aber was bei Manfred Krügers Ausführungen immer wieder zu bedauern war, daß dem Leser die dazugehörigen Bilder vorenthalten blieben, das bringen nun Andreas Mäckler und der Novalis Verlag aufs Schönste zusammen. So ist in der Anschauung auch „Rudolf Steiners Schule der Malerei", ausgehend vom ersten und zweiten Goetheanum in Dornach, als Entwicklungsgeschichte aus dem Geiste der Romantik, des Symbolismus und des Jugendstils gut nachvollziehbar. Andere berühmte Künstler der Jahrhundertwende kommen hinzu. Nehmen wir als Beispiel Fidus (Hugo Höppener, 1868-1948), der noch lange von eigenen Tempelbauten träumte, als Rudolf Steiner längst am ersten Goetheanum arbeitete. Die zahlreichen Verbindungen zwischen ihm und Steiner werden in all ihren tragikomischen Elementen (bis hin zum Nationalsozialismus) dargestellt als „ein Parallelfall ohne Folgen". Oder Wassily Kandinsky, Alexej Jawlensky, Piet Mondrian und Joseph Beuys - in all diesen Verbindungen bringt Andreas Mäckler nichts Neues, aber es reicht, um die Argumentation stringent voranzutreiben, um die es ihm geht: Rudolf Steiners Ästhetik als eine eigene, beachtliche Leistung des 20. Jahrhunderts darzustellen. In diesem Sinne verfolgt der Autor auch – und das ist vor ihm bisher noch nicht so detailliert geschehen – die „Tendenzen der Forschung, Rudolf Steiners Anteil an der Kunst des 20. Jahrhunderts zunehmend zu berücksichtigen."

„Zwischen Materie und Licht – Zur Kunstgeschichte der Lasurfarben" – so heißt der zweite Abschnitt des Buchs. Die antike Metaphysik des Lichts und die christliche Analogie zwischen den Regenbogenfarben als „Gottes Vertrag" mit den Menschen (Genesis 9, 12 ff.) werden mit den neueren Forschungen zur Transzendenz und Transparenz in der Malerei (Eckart Heimendahl, Wolfgang Schöne, Heinz Matile) in Verbindung gebracht. Auffallend ist, daß in diesem zweiten Drittel des Buchs so gut wie keine „anthroposophischen" Autoren zitiert werden (Heinz Matile ist zwar wohl Anthroposoph, aber man sieht es seinen grundlegenden Arbeiten inhaltlich nicht an). Je mehr man sich also mit diesem besonderen Kapitel der spirituell, aber historisch begründeten Farbenlehre befaßt, desto mehr sieht man auch ein, weshalb solche Autoren fehlen müssen: Es gibt sie nicht. Dafür aber wird sehr deutlich, welche ästhetischen Möglichkeiten in der Lasur überhaupt enthalten sind: Schon Harald Küppers brillanter Farbenrhomboeder führt sie in seiner technokratischen Ausrichtung überzeugend vor Augen. Aber Technokratie – und das ist auch als erkenntnistheoretisches Element so gemeint – wird von Andreas Mäckler nicht verteufelt, sondern beispielsweise mit den Vorarbeiten von Philipp Otto Runges Farbenkreis in Zusammenhang gebracht, um daran zu zeigen, daß (Druck-)Technik und naturwissenschaftlich orientierte Physiologie sehr wohl – auch als Herausforderung an den Maler – geeignet sind, um eine geistige Ausrichtung in der Arbeit zu transzendieren bzw. um sensibler den kosmischen Welten gegenüber zu werden.

Der dritte Abschnitt dieses Buchs fügt nun an die Vorarbeiten anderer Künstler, Wissenschaftler und Philosophen den Anteil von Rudolf Steiner. Hier wird Steiners Verbindung als Goethe-Forscher mit dessen Farbenlehre historisch eingehend dargestellt und die Perspektiven seiner Weiterarbeit werden in Theorie und Praxis verfolgt. Steiners eigene Farbenlehre als Folge daraus referiert Andreas Mäckler zunächst im Kanon all derer, die sich schon längst vor ihm damit beschäftigt haben: Albert Steffen, Julius Hebing, Felix Goll, Heinrich O. Proskauer, Fritz Weitmann. Da Mäckler aber analytisch an Steiners Farbenlehre herangeht, findet er recht bald allerlei Fehler in dessen Systematik, die auch den anderen anthroposophischen Farbtheoretikern – zum Teil jedenfalls – nicht unbekannt blieben. Was aber das Verdienst dieser Arbeit und auch die prekäre Situation ausmacht, die sie schafft, ist, daß Andreas Mäcklers Kritik an den farbtheoretischen Weiterführungen von Fritz Weitmann u.a. logisch in das Zentrum der Fehler dieser Farbenlehre trifft, ohne sie selbst korrigieren zu können. Mäcklers These: Rudolf Steiners Farbenlehre als Fragment beherbergt – bei all ihren vorzüglichen Impulsen – gravierende Mängel, die auch nach 65 Jahren nicht korrigiert wurden. Damit fühlen sich anthroposophische Farbtheoretiker natürlich angegriffen, was aber eigentlich nicht intendiert wurde, denn Andreas Mäckler diagnostiziert bloß, und seine „Therapievorschläge" sind anders, als sie manche anthroposophischen Künstler und -theoretiker gemeinhin pflegen: nämlich „nach außen" zu sehen, Verbindungen mit anderen Forschern aufzunehmen und gemeinsam ebenso ernsthaft wie konzentriert jene Impulse aufzuarbeiten, die eine Spiritualisierung der Lebenswelt erfahrbar machen, ohne in (nahezu) blindes Sektierertum zu verfallen oder sich allein an Steiners Schriften zu orientieren.

Also kurz und gut: Das Buch „Lichtoffene Farbigkeit" ist allen sehr zu empfehlen, die sich für Rudolf Steiners künstlerischen Impuls interessieren, ohne dabei das weite Panorama der Kunst- und Geistesgeschichte aus den Augen verlieren zu wollen.

Bruni Maier: Zeitschrift Info3, Nr. 4 / April 1992, Seite 29

Lichtoffene Farbigkeit

Um es gleich vorweg zu sagen: Dieses Buch ist ein wichtiges Buch, denn es versucht einen Brückenschlag zwischen zwei Welten, die sich, besonders wenn es um die Kunst geht, nicht verstehen wollen. Zwischen dem inneren Kreis anthroposophischen Kunstschaffens und dem ihm umgebenden offiziellen Kunstbetrieb herrscht seit siebzig Jahren ein beklemmendes Schweigen, ein scheinbarer Antagonismus zwischen Wahrheitsanspruch hier und Geltungsanspruch dort.

Dieses Schweigen zu brechen und einen offenen Dialog über die gemeinsamen Grundlagen der Kunstentwicklung im 20. Jahrhundert zu initiieren, ist das Buch von Andreas Mäckle besonders legitimiert, denn es wurde 1989 am Kunstgeschichtlichen Institut der Universität Marburg als Dissertation angenommen. Das verbürgt die wissenschaftliche Solidität der Darstellung, des Quellenmaterials und die klare, nüchterne Diktion (ein nicht zu unterschätzender Vorzug in der Diskussion mit nicht-anthroposophischen Kunstfreunden).

Der Gliederung in drei Abteilungen (Kunstgeschichte der Anthroposophie – Kunstgeschichte der Lasurfarben – Goethe und Gnosis: Rudolf Steiners Farbenlehre) entsprechend, stellt Mäckler zuerst die Kunsttheorie und das Kunstschaffen Rudolf Steiners Außenstehenden vor. Hier findet man die ersten Überraschungen: Beim hohen Niveau der Reproduktionsqualität des gesamten Bildmaterials werden Steiners eigene Farbentwürfe und Skizzen zu den Werken seiner Nachfolger vergleichbar und bestechen durch ihre überlegene Spontanietät und Modernität einer kalkulierten Unvollkommenheit.

Die zweite Überraschung ist der zum Teil gelungene Nachweis, daß Steiner inspirierend wirksam war in der Begegnung mit den tragenden Gründerpersönlichkeiten der modernen Malerei, soweit sie dem Kreis des „Blauen Reiters" im München der Vorkriegszeit (1911-14) nahestanden. Mäcklers Hinweis auf die indirekte Patenschaft Steiners bei der Geburt der modernen abstrakt-chromatischen Malerei in Kandinskys Atelier sollte Anlaß sein, das Schubladendenken im Umgang mit der Weltkunst endgültig hinter sich zu lassen.

Der zweite Teil, ein Referat zur Geschichte des Diaphanen als Medium der Farbentfaltung, hat es in sich; man soll sich nicht von griffiger Gliederung und anregendem Bildmaterial täuschen lassen. Die Sprache ist leicht verständlich, aber der Inhalt hoch komprimiert, denn untergründig geht es hier um den Gegensatz in der Bewertung der Hauptendeckungen der Goetheschen Theorie: Farbentwicklung durch Brechung im trüben Medium als Begründung einer Metaphysik des Lichts einerseits, physiologische Scheinfarbigkeit in der simultanen Wechselwirkung andererseits, das Komplementärgesetz als Grundlage der Harmonieerfahrung. Hier muß man mehrfach lesen, die an die Seiten des Texts gestellten und damit bequem einsehbaren Quellenverweise und Marginalien ernst nehmen, um mit dem Autor in ein produktives „Lesergespräch" zu kommen. Der Hinweis auf die französische Tradition, in der Goethes Saat ja reichlicher aufging als in Deutschland, hätte deutlicher ausfallen können, denn daß Goethes Farbenlehre im „orphischen Kubismus" Robert Delaunays ihre folgenreichste Bestätigung erfahren hat, sollte anthroposophisch geprägten Kunstfreunden nicht entgehen.

Der dritte Teil des Buchs trägt die Überschrift „Goethe und Gnosis - die spekulative Weiterführung: Rudolf Steiners Farbenlehre". Für „gesamtausgabenfeste" Anthroposophen enthält dieser Teil vielleicht wenig Neues, abgesehen von dem hervorragenden Bildmaterial und dem gelinden Schock, den die Darstellung des „Farbmysteriums" im modernen Wissenschaftsjargon auslösen mag. Für nicht eingeweihte Skeptiker ist er jedoch erhellend, denn Mäckler gelingt es, kurz und verständlich Steiners Farbenordnung zu erklären, er sagt öffentlich, was der „Gral" den sei!

Wurde im mittleren Teil das Ringen um Transparenz der Farbe als Ringen um Transzendenz, um die vierte Dimension als Richtung der Zeit und des Geistes deutlich, wird jetzt die Richtung dieser Dimension durch Steiners Farbenordnung erklärt. Die höchst originelle Aufteilung in drei Glanz- und vier Bildfarben wird dem Leser schnell plausibel, ebenso die sich daraus ergebenden maltechnischen Probleme, die Mäckler nicht verschweigt. Auch die daraus resultierende „Kanonisierung" bestimmter Farbklänge und ihrer schichtweisen Erarbeitung in Bindung an zugewiesene Aufgabenfelder (zum Beispiel Kultbild, Portrait und so weiter) stellt Mäckler als ein noch zu lösendes Problem dar. Die Entfaltung einer anthroposophischen Kunst, die Steiners Impulse kreativ weiterentwickelt und sich aus der Wiederholung immer gleicher Problemlösungswege befreit, steht noch aus.

Das Buch ist teuer, DM 68,--, und das muß so sein, denn die Buchausstattung, die eine bequeme Zusammenschau von Text, Bild- und Quellenmaterial ermöglicht, kostet ihren Preis. Das Buch ist auch teuer, weil es nur einen kleinen Leserkreis erreichen wird: selbstkritische Insider, die die bisherige anthroposophische Malerei im Kontext europäischer Kunstgeschichte kritisch zu überprüfen bereit sind, und offene Outsider, die nicht vorgefaßte Antworten auf vorgefaßte Fragen hören, sondern verstehen wollen, warum die bisherige anthroposophische Malerei so geschlossen und hermetisch wirkt, worin ihre Kraft, aber auch ihre Probleme begründet sind. Ich wünsche diesem Buch viele Leser.

Andreas Böhm: Mitteilungen des Vereins zur Förderung der Waldorfpädagogik in Itzehoe, November / Dezember 1992, Seite 130 f.

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